Gerichtsentscheidungen

Das Abwerben von Mitarbeitern ist keine schwere Verfehlung (BayObLG, 09.04.2021 – Verg 3/21)

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Eine Auftraggeberin schrieb einen Dienstleistungsvertrag im Wege eines offenen Verfahrens europaweit aus. Eine Bieterin rügte, dass die an erster Stelle stehende Mitbewerberin auszuschließen sei, da sie schwere Verfehlungen in Form eines wettbewerbswidrigen Verhaltens begangen habe. Denn sie habe versucht, an der Arbeitsstelle der Antragstellerin Mitarbeiter während der Arbeitszeit abzuwerben, um diese für die eigene Auftragsdurchführung zu übernehmen. Außerdem erfülle die Mitbewerberin die Anforderungen an das einzusetzende Personal nicht. Die Antragsgegnerin hätte diese prüfen müssen, da es sich insoweit um Zuschlagskriterien handelte.

Abwerbeversuche sind keine schwere Verfehlung

Das Bayerische Oberste Landesgericht entschied nun, dass das persönliche Ansprechen und Abwerben der Mitarbeiter der Antragstellerin in der Regel noch keine „schwere Verfehlung“ nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB darstellt. Selbst wenn eine schwere Verfehlung im Einzelfall vorliegt, muss diese zusätzlich die Integrität des Unternehmens in Frage stellen. Das kann nicht pauschal angenommen werden. Vielmehr müssen hierfür erhebliche Rechtsverstöße vorliegen. Auftraggeber haben einen eigenen und gerichtlich eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Prüfung der Zuverlässigkeit eines Unternehmers. Diesen sah das Gericht hier gewahrt.

Auftraggeber darf auf Leistungsversprechen des Bieters vertrauen

Den Vorwurf, die Antragsgegnerin habe es unterlassen, die Erfüllung der Zuschlagskriterien – hier die Qualifikation des einzusetzenden Personals – zu überprüfen, ließ das Gericht ebenfalls nicht gelten. Ein öffentlicher Auftraggeber ist zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, Nachweise für die Erfüllung von Zuschlagskriterien zu verlangen. Er hat lediglich die Angaben der Bieter zu verifizieren. Das Leistungsversprechen des Bieters darf der Auftraggeber ungeprüft akzeptieren, soweit keine konkreten Tatsachen bestehen, die auf eine zukünftige Nichteinhaltung der vereinbarten Leistung schließen lassen.

Des Weiteren muss der Bieter das zur Leistungserbringung erforderliche Personal nicht bereits bei Angebotsabgabe oder Zuschlagserteilung aufweisen. Das Personal muss erst zum Vertragsbeginn eingestellt sein. Denn es wäre Bietern nicht zuzumuten, weitreichende Entscheidungen über das künftige Personal zu treffen, ohne Gewissheit über eine Zuschlagserteilung zu haben. Ein Bieter muss aber auf Verlangen des Auftraggebers darlegen, dass ihm das zur Auftragserfüllung erforderliche Personal bei Vertragsbeginn tatsächlich zur Verfügung stehen wird.